Kooperation als Chance. Um eine gute gesundheitliche Versorgung der heimischen Bevölkerung zu gewährleisten, ist die enge Zusammenarbeit der verschiedenen Akteur*innen wichtiger denn je. Wie sich Apotheken, Medizin, Industrie und Großhandel gemeinsam anstrengen, um aktuelle Herausforderungen wie (drohende) Arzneimittelengpässe zu meistern.
Text: Josef Puschitz
„Immunglobuline sind aus? – Rufen wir schnell die Kollegen und Kolleginnen an, sie haben sicher noch etwas!“ So geht man im Apothekenverbund der Barmherzigen Brüder mit Engpässen um. Mag. pharm. Gunda Gittler leitet seit 2000 die Krankenhausapotheke des Ordens und ist für den Arzneimitteleinkauf des Einkaufsverbundes der Barmherzigen Brüder zuständig. Sie ist bestens vernetzt – nicht nur mit den eigenen Apotheken, sondern auch mit den rund 100 Krankenhausapotheken in ganz Österreich.
„Wir tauschen uns untereinander gut aus, vor allem innerhalb unserer Gruppe. Wenn etwas knapp wird, hilft man sich gegenseitig aus“, sagt Gittler. „Zusammenarbeit auf Augenhöhe“, so lautet im Apothekenverbund der Bamherzigen Brüder die Antwort auf Lieferengpässe bei Medikamenten. Zusammenarbeit ist ebenso das Erfolgsrezept bei der bestmöglichen Versorgung der Patient*innen.
Diesem Ziel hat sich auch der Verein PRAEVENIRE – Gesellschaft zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung – verschrieben. Gittler ist dort Mitglied im Vorstand, begeistert dafür hat sie vor allem der interdisziplinäre Austausch mit der Ärzteschaft sowie mit Wirtschaft und Politik. In ihrer Funktion möchte sie besonders die Vernetzung mit anderen Berufsgruppen vorantreiben – so, wie sie es schon in ihrem beruflichen Alltag bei den Barmherzigen Brüdern handhabt: „Wir stehen dort im engen Dialog mit der Medizin. Wenn das verschriebene Medikament nicht verfügbar ist und es keinen generischen Ersatz dafür gibt, dann setzen wir alles daran, um die Therapieschemata individuell umzustellen“, sagt Gittler. Dabei werde das pharmazeutische Wissen mit dem medizinischen kombiniert, um die bestmögliche Lösung für den therapeutischen Erfolg zu erzielen. „Die Ärztinnen und Ärzte sind froh, wenn wir gemeinsam mit ihnen Alternativen ausarbeiten. Wird ein Infusionsschema umgestellt oder ein anderes Präparat verwendet, so machen das alles wir Pharmazeutinnen und Pharmazeuten im Hintergrund“, berichtet Gittler aus ihrem Alltag in der Krankenhausapotheke.
Im Kampf um Arzneimittel
Ihre Arbeit besteht aber nicht nur aus fachlichen, sondern auch aus logistischen Herausforderungen: Drei bis vier Stunden pro Woche verbringt sie mit ihren Kollegeinnen damit, für den Einkaufsverbund der Barmherzigen Brüder um rar gewordene Arzneimittel zu „kämpfen“. Sie schaut sich an, welche Medikamente in nächster Zeit knapp werden könnten, und versucht, anhand von Prognosen – sogenannter Forecasts –, den künftigen Bedarf an Arzneimitteln zu berechnen. „Hier ist die unmittelbare Kommunikation mit der Industrie von großer Bedeutung“, sagt Gittler. Seitens der Industrie wird auf eine unmittelbare Bedarfsplanung ebenfalls großer Wert gelegt. Dr. Bernhard Wittmann, Vizepräsident der PHARMIG (Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs), sieht dabei noch andere Faktoren von Belang: „Unser Vorschlag lautet schon lange, dass die Ärztesoftware in die Mangellisten der AGES eingebunden werden sollte. So ließe sich verhindern, dass Medikamente verschrieben werden, die gar nicht mehr verfügbar sind.“
"Die Ärztinnen und Ärzte sind froh, wenn wir gemeinsam mit ihnen Alternativen ausarbeiten."
Schwierige Prognosen
Die Verfügbarkeit kurzfristig zu erhöhen, sei aufgrund der Vorlaufzeiten und Lieferketten nicht möglich, so Wittmann. Es brauche langfristigere Planungen, um einen Mangel zu verhindern: „Wir sollten eigentlich jetzt schon über die Versorgungslage im Herbst 2025 sprechen“, macht er das Dilemma deutlich. Auch datenbasierte mathematische Modelle greifen zu spät, was es schwierig mache, den Mehrbedarf abzuschätzen. „Vorhersagen in diesem Bereich sind besonders herausfordernd. Was jahrelang in ausreichender Menge vorhanden war, kann plötzlich von heute auf morgen zur Mangelware werden“, sagt Wittmann in Hinblick auf die Aufregung rund um Kinderantibiotika des Vorjahres. Oft reiche schon die mediale Diskussion über die Verfügbarkeit eines bestimmten Medikaments, um die Öffentlichkeit zu beunruhigen und die Menschen zu Hamsterkäufen zu verleiten. Aus jetziger Sicht herrsche aber am Markt gespannte Ruhe, alle relevanten Medikamente seien lieferbar, versichert Wittmann.
Assoz.-Prof. PD Mag. Dr. Peter Klimek fürchtet, dass das nicht so bleibt. Der Komplexitätsforscher an der MedUni Wien rechnet damit, dass es bald zu erneuten Lieferschwierigkeiten kommen könnte. Seit Anfang des Jahres ist Klimek Direktor des neuen Instituts Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII), das sich unter anderem mit drohenden Medikamentenengpässen und möglichen Gegenmaßnahmen beschäftigt. Auf Globalisierung zu setzen und zu hoffen, dass der Markt dadurch sicherer und günstiger werde, habe sich im Nachhinein als Fehleinschätzung herausgestellt, betont Klimek. Er schlägt unter anderem vor, Anreize dafür zu schaffen, dass wichtige Wirkstoffe nicht nur in China und Indien erzeugt würden – auch wenn dies mitunter höhere Preise für Medikamente bedeutet. Diese müssten als eine Versicherung gegen Versorgungsengpässe betrachtet werden.
"Was jahrelang in ausreichender Menge vorhanden war, kann von heute auf morgen zur Mangelware werden."
An einen Strang
Insgesamt müsse angesichts der demografischen Entwicklung mit immer mehr älteren Patient*innen bei der gesundheitlichen Versorgung verstärkt auf digitale Lösungen zurückgegriffen werden, ist der Wissenschaftler überzeugt. Apotheken sollten sich hier grundlegend für digitale Gesundheitsanwendungen öffnen: „Sie haben großes Potenzial, den Patientinnen und Patienten zu helfen, schließlich sind sie erster Kontaktpunkt in vielen Gesundheitsfragen und haben damit eine wichtige Rolle.“ Man müsse über Systeme nachdenken, die den behandelnden Ärzt*innen alle relevanten Informationen über Befunde und Medikationen gewähren. Damit ließen sich auch Kontraindikationen auf den ersten Blick sichtbar machen und vermeiden. Klimek: „Wenn Pharmazie und Medizin an einem Strang ziehen, können so häufigere und komplexere Behandlungspfade besser abgebildet und nachvollzogen werden.“
Stabilität für das „Gesundheitshaus“
In dieselbe Kerbe schlägt auch die Apothekerkammer. Angesichts von Überalterung, Zivilisationskrankheiten und Personalmangel sei es ein Gebot der Stunde, auf verstärkte Zusammenarbeit zu setzen: „Es ist nötiger denn je, Ärzteschaft und Pflegekräfte durch kluge Maßnahmen zu entlasten sowie unnötige Spitalsaufenthalte und Ordinationsbesuche zu vermeiden. Das Potenzial der öffentlichen Apotheken mit ihren ausgewiesenen Arznei- und Gesundheitsspezialistinnen und -spezialisten ist in diesem Kontext enorm“, sagt Apothekerkammer-Vizepräsident Mag. pharm. Dr. Gerhard Kobinger.
Um dem Druck, der auf dem Gesundheitssystem lastet, standzuhalten, müssen laut ihm alle Player zusammenspielen. Ein erstes Zusammenrücken wurde bereits deutlich: Gesundheitsministerium und der Pharmagroßhandel konnten sich auf die Schaffung von Wirkstofflagern für die Herstellung gängiger Antibiotika und Medikamente gegen Erkältungssymptome einigen. „Bei Lieferausfällen werden die Wirkstoffe von 23 Standorten in ganz Österreich an die Apotheken verteilt, damit die Bevölkerung, insbesondere kranke Kinder, versorgt werden können“, betont Mag. pharm. Dr. Andreas Windischbauer, Herba-Vorstand und Präsident des Verbands der österreichischen Arzneimittelvollgroßhändler (PHAGO).
Klimek hält die Maßnahme für einen sinnvollen Baustein zur Versorgungssicherheit. „Damit haben Apothekerinnen und Apotheker ein nützliches Werkzeug, um bestimmten Lieferengpässen bei Medikamenten effi zient entgegenwirken zu können“, sagt auch Kobinger. Handlungsbedarf sieht er bei der Vergütung für die Apotheken: „Mit der längst überfälligen Valorisierung der Galenika und Arbeitstaxen ist ein erster Schritt getan. Beim Gesamtvertrag und den Spannen muss sich noch etwas tun.“
"Die Wirkstofflager sind ein sinnvoller Baustein zur Versorgungssicherheit."