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„Vorsorge muss lebbar sein“

Handlungsbedarf. Gesundheitsökonom Dr. Thomas Czypionka im Gespräch über die Notwendigkeit eines „Vorsorgepasses“ und andere sinnvolle Public-Health-Maßnahmen.

Text: Silke Ruprechtsberger

Dr. Thomas Czypionka leitet die Forschungsgruppe Gesundheitsökonomie und -politik am Institut für Höhere Studien (IHS).

Tut Österreich genug zur Gesunderhaltung der Bevölkerung? 
Czypionka: Nein, sicher nicht. Wenn es um gesunde Ernährung, Bewegung oder das Wissen um Gesundheit geht, sind wir nicht besonders gut. Studien zufolge werden die Kinder in jeder Generation beleibter. Alleine in den Schulen könnte man extrem viel machen. In Japan werden viele Schulkinder von klein auf an der Zubereitung des gesunden Mittagessens beteiligt. Unsere Turnstunden sollten stärker die Freude an der Bewegung und weniger die Leistung fördern. Auch in der Erwachsenenbildung findet eine gesunde Lebensgestaltung zu wenig Niederschlag. Wichtig ist: Vorsorge muss lebbar sein. Es macht wenig Sinn, Alkohol, Rauchen und Schweinsbraten auf einmal zu verbieten. Man sollte Prioritäten setzen und realistische Ziele entwickeln.

Wie sieht ein erfolgreiches staatliches Public-Health-Engagement aus?
Czypionka: Gemäß der „Health in All Policies“-Strategie ist das Thema zwar politisch in aller Munde, aber konkret geschieht oft wenig. Es betrifft ja viele Aspekte: Wie gestalte ich Schule, Bildung, Arbeitsplätze, Freiflächen? In manchen Bereichen tun wir uns etwas leichter, so reduziert der gut ausgebaute öffentliche Verkehr in Wien die Schadstoffbelastung. Es gibt auch einiges an Vorsorgeangeboten, aber es mangelt an Struktur und Aufklärung. Mir ist ein Rätsel, warum es bei uns einen Impfpass gibt, aber keinen lebenslangen Vorsorgepass, in dem zielgruppenspezifisch Impfungen, Tests und Untersuchungen eingeplant sind. So wäre ein lebensbedrohendes Bauchaortenaneurysma – vor allem bei älteren, adipösen Männern ein Problem – im Ultraschall einfach zu erkennen.

Sie erwähnten auch Aufklärungsdefizite …
Czypionka:  Ja! Es reicht nicht, angesichts der steigenden Masernfälle Impfungen zur Verfügung zu stellen, man muss sich schon mehr bemühen, auch wenn das Impfthema mit Corona schwieriger geworden ist. Auch gehen einige jedes Jahr zur Vorsorge, was vielleicht gar nicht nötig wäre, während viele andere sich nie untersuchen lassen. Auch diese Personen muss man irgendwie erreichen.

Welche Rolle können die Apotheken spielen?
Czypionka: Leider kam das Impfen in der Apotheke nicht ins Gesetz, obwohl durch die niedrigere Schwelle höhere Impfraten erzielbar wären. Man kann Apotheken aber gut für einfache Screenings und Messungen nutzen – sie verfügen über das Fachpersonal, und der Laden ist ja nicht immer voll. Natürlich müsste man die Honorierung klären und die Möglichkeiten mit Leben füllen: Sinnvoll wäre, im Auftrag der Sozialversicherung – mal als Versuchsballon – für ein Gesundheitsrisiko ein Screeningprogramm zu entwickeln und zu evaluieren, was es bringt.

Wie können Digitalisierung und KI Public Health unterstützen?
Czypionka: Theoretisch ist da vieles möglich, von behördlichen Chatbots, die zuständige Stellen nennen, über Plattformen, die automatisiert an die Mammografie erinnern, bis zu „Frail elderly“-Programmen wie in Deutschland und den Niederlanden. Diese identifizieren über KI Leute, die ein besonders hohes Risiko haben, in der nächsten Zeit ins Spital zu kommen. Dann kann man eine diplomierte Pflegekraft hinschicken, die auch Dinge wie Sturzhilfen oder einen Notfallknopf empfiehlt. Bei uns müsste man dafür aber erst die rechtlichen Grundlagen schaffen, ELGA-Daten sind ja derzeit zur Forschung und Analyse auch nicht zugelassen.