Penk: Mittelfristig nein. Doch ich glaube, dass Gentherapien und künstliche Intelligenz langfristig die Gesundheitsbranche revolutionieren werden. Das Ziel ist die Heilung von Krankheiten, noch jedoch sind Cholesterinsenker, Insulin, Medikamente zur Vorsorge gegen Herzinfarkt, um einige Beispiele zu nennen, eine Notwendigkeit.
Die Technik wird Dinge beeinflussen, die zuvor außerhalb unseres Zugriffs lagen. CRISPR ist eine Methode des Genome Editing, mit der wir in Zukunft neue und teilweise bessere Behandlungsmöglichkeiten haben werden. Sie ist aber nicht das Allheilmittel, von dem manche träumen.
Denken wir an die Möglichkeiten von vor fünfzig Jahren zurück, dann sind wir erschüttert, wie wenig Optionen es damals gab. Das werden wir 2050 vielleicht auch von heute denken. Gewiss ist, dass die Behandlungsoptionen eine größere Fülle erhalten werden. Bei der Gentherapie etwa: Wir werden den Krankheitsverlauf prognostizieren und darauf gezielt die nächste Therapie ansetzen können. Mithilfe von Big Data werden wir noch besser Krankheiten frühzeitig erkennen und therapieren können. Dafür sind Computerprogramme notwendig, die über die menschlichen Möglichkeiten hinausgehen. Die Digitalisierung wird auch dazu führen, dass Patienten stärker in die Behandlung eingebunden werden und so bessere Ergebnisse erzielt werden können. Wir sind am Weg.
Dass die Technik Auswirkungen auf Arzneimittel hat, glauben wir tatsächlich. Wir müssen uns im System – Ärzte, Pharmaindustrie, Apotheker, Zulassungsbehörden – auf die Zukunft einstellen. Das Behandlungssystem wird deutlich komplexer, und die Zusammenarbeit vieler ist für die Heilung notwendig. Ärzte als Schlüsselstelle zwischen Diagnostik, Planung und Behandlung werden innerhalb des Systems vermitteln. Apotheker werden zur Schnittstelle zwischen System und Alltag. Dort, wo also viele Dinge zusammenkommen, haben Apotheker die wichtige und zukunftsweisende Aufgabe, den Patienten beizustehen.
Wir führen derzeit* eine Reihe klinischer Studien durch, so im Bereich der Hämophilie. Gemeinsam mit den französischen Unternehmen Cellectis und Servier erforschen wir die Nutzung von CRISPR in der Immuntherapie. Aktuell sind wir in der ersten klinischen Erprobung. CRISPR wird ein wichtiges Verfahren, doch bei vielen Krankheiten verstehen wir die genetische Grundlage nicht. Erst wenn wir diese verstehen, können wir gute, konkret definierte Ziele formulieren. Die Technik gilt als noch nicht reif genug, um am Menschen getestet zu werden. Neben ethischen Bedenken gibt es auch noch praktische Probleme.
Das Genom ist keine stille Bibliothek. Es ist ein dynamisches, kommunizierendes, sich laufend veränderndes System. Das menschliche Genom wurde vor einigen Jahren zwar komplett entschlüsselt, aber verstehen können wir es derzeit nur bis zu einem Prozent. CRISPR eignet sich wunderbar für die Forschung, doch erst wenn wir das Genom besser verstanden haben, können wir über Eingriffe am Menschen mit komplexen Krankheitsbildern nachdenken.
Ich kenne die Diskussion. Aber es geht ja nicht darum, die Keimbahn zu verändern. Das wäre kein vernünftiges Ziel der Pharmaforschung. Bei der Hämophilie kann man etwas tun: in bestimmten Zellen ein fehlerhaftes oder fehlendes Eiweiß reparieren oder wieder herstellen. Das ist vernünftig, denn man weiß, wie das funktioniert. Eingriffe am Patienten, also klinische Studien, werden eines Tages zeigen, ob etwas funktioniert oder nicht, und dieser Prozess unterliegt einem strengen Regelwerk.
Verantwortung in der Pharmazie ist so alt wie die Pharmaindustrie selbst. Wir müssen immer überlegen, welche Konsequenzen unsere Forschung hat. Wir stehen aber auch in der Verantwortung, neue Heilmittel zu finden, darauf hoffen die Menschen zu Recht. Dabei steht der ärztliche Kodex im Vordergrund: nicht schaden. Doch wir müssen auch über Grenzen nachdenken: Wie weit gehen wir für den Heilerfolg, was ist gesellschaftlich akzeptabel? Wir hatten und haben diese Art der Diskussion zum Beispiel bei der pränatalen Diagnostik oder in der Palliativmedizin. Neue Technologien werfen neue ethische Überlegungen auf. Es ist eine medizinische wie gesellschaftliche Entwicklung und muss ausgelotet werden.
Momentan sind die Grenzen wissenschaftlicher Natur. Ethische und juristische Grenzen können erst gesetzt werden, wenn die Chancen und Risiken gut abschätzbar sind. Bei CRISPR ist das noch nicht der Fall. Wir brauchen weitere wissenschaftliche Erkenntnisse und klinische Daten, erst dann ist es Zeit, über Grenzen zu diskutieren. Bis dahin haben wir eine virtuelle Diskussion und keine Argumente im weltweiten Kontext etwa für ein wissenschaftliches Moratorium. Unser Grundsatz ist: nicht schaden. Ich bin optimistisch.
Dr. Penk, Mediziner und Regional President der Pfizer Oncology: „Erst wenn wir das Genom besser verstanden haben, können wir über Eingriffe am Menschen mit komplexen Krankheitsbildern nachdenken.“
* Das Interview führte die Autorin Elis Thiel für Herba Impulse 2018
Ein Textverarbeitungsprogramm für Gene – so kann man sich CRISPR/Cas9, kurz CRISPR, vorstellen. Ganze Sätze oder nur Buchstaben können aus dem Bauplan ersetzt, korrigiert oder neu eingefügt werden. CRISPR gilt als eine Methode, die unsere Zukunft ähnlich gravierend verändern wird wie z. B. der Buchdruck oder das Internet und hat schon heute die Arbeit in Laboren weltweit gewandelt. Sie nahm ihren Ausgang vor wenigen Jahren mit der Entdeckung der Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna. Sie erkannten, wie sich ein Abwehrsystem, das Bakterien gegen Viren einsetzen, als vielseitiges Werkzeug in der Erbgutbearbeitung verwenden lässt. Schon heute nutzen Wissenschaftler CRISPR, etwa in der Biotechnologie und auch an menschlichen, wenn auch nicht lebensfähigen Embryonen. Der ganze DNA-Satz vieler Organismen ist zwar bekannt, die vollständige Funktion der meisten Gene ist aber noch ein Geheimnis. CRISPR hilft bei der Entschlüsselung, eines Tages auch von Krankheitsbildern.