Ronald Gstir: Ich bin tatsächlich viel in den Bergen unterwegs, gesammelt hat die Algen aber Professor Georg Gärtner vom Botanischen Institut der Universität Innsbruck. Er hat quer über Europa seine Untersuchungen angestellt und ein Archiv aufgebaut, das über 500 Algenarten umfasst.
Gstir: Algen sind im alpinen Raum die Erstbesiedler, sie machen sich dort breit, wo keine andere Pflanze mehr wächst. Das macht sie zu extrem interessanten Organismengruppen, weil sie mit den widrigsten Umweltbedingungen umgehen können – sie überstehen große Temperaturschwankungen, können austrocknen, einfrieren, wieder auftauen. Außerdem halten sie unglaubliche Mengen an UV-Strahlung aus. Uns interessiert, wie die Algen mit diesen vielen Stressfaktoren fertig werden.
Gstir: Der Startschuss für das Forschungsprojekt ist vor sechs Jahren gefallen, am Management Center Innsbruck (MCI). Dessen Leiter, Christoph Griesbeck, hat nach Partnern gesucht, die bei der Erforschung von bioaktiven Stoffen in den Algen von Nutzen sein können. So entstand die Zusammenarbeit mit dem Austrian Drug Screening Institute (ADSI), für das ich arbeite. Professor Günther Bonn und Professor Lukas A. Huber haben dieses Institut gegründet und unser Projekt entscheidend unterstützt. Ein Aspekt in unserem Vorhaben war zentral: Zuerst ging es um die Kultivierung der verschiedenen Algenarten aus der Sammlung in Flüssigkulturen. Das passierte am MCI. Die Forschungspartner dort waren dann auch dafür zuständig, die Kulturen unter Stress zu setzen.
Gstir: Wenn es den Pflanzen gut geht, produzieren sie keine oder nur sehr wenig der sogenannten sekundären Pflanzenmetabolite. Also jene Stoffwechselprodukte, für die wir uns interessieren, weil wir glauben, dass sie den Algen die Bewältigung der vielen Stressfaktoren ermöglichen, denen sie ausgeliefert sind. Genau diese „Stressoren“ wurden in Innsbruck im Labor nachgestellt. Die Flüssigkulturen wurden auf verschiedene Arten herausgefordert: Wir setzten sie osmotischem Stress aus, Nahrungsstress oder Lichtstress. Auf diese Einflüsse haben die Algen mit chemischen Lösungen reagiert, um sich vor den stressbedingten Entzündungsreizen zu schützen.
Gstir: Mein Spezialgebiet am ADSI ist die dermatologische Kosmetik und die Entzündungsforschung. Wir arbeiten hier mit humanen Zellsystemen, unsere Spezialität ist es, biologische Systeme und ihre Krankheiten nachzustellen. Wir haben eine Hautzelllinie entwickelt, mit der es sehr einfach ist, eine Entzündung induziert durch UV-Strahlung nachzustellen, quasi ein simulierter Sonnenbrand. Und genau den haben wir mit Extrakten aus den gestressten Algenkulturen behandelt, um zu sehen, ob die sekundären Pflanzenmetabolite der Algen auch auf der menschlichen Haut wirken.
Gstir: Ja, sie wirken – aber nicht alle. Der projektverantwortliche Doktorand Peter Leitner ist Biotechnologe und Entzündungsforscher, er hat einige sehr vielversprechende Erfolge in der Analyse der Algenextrakte erzielen können. Einige Extrakte wirken sehr effektiv in unserer Reporterzelllinie und auch in der rekonstruierten humanen Epidermis, also in nachgebauter menschlicher Oberhaut. Das rückt unser Forschungsprojekt in eine Richtung, die Algenextrakte sehr interessant machen für die kosmetische Industrie.
Gstir: Sie haben eine klare hautberuhigende Wirkung, die etwa in einer herkömmlichen Sonnencreme nicht vorhanden ist. Ein anderer, extrem wichtiger Punkt, den man nicht übersehen sollte: die enorme Nachfrage. Innerhalb der Kosmetikindustrie, aber auch in der Pharmabranche herrscht ein großes wirtschaftliches Interesse daran, mehr pflanzliche Rohstoffe zum Einsatz zu bringen. Der Bereich der Phyto-Kosmetik wächst derzeit jährlich um zehn Prozent, Naturstoffe werden immer wichtiger
Gstir: Unsere Versuche sind bislang auf einen sehr kleinen Maßstab beschränkt, wir kultivieren die Algen in Fünf-Liter-Kolben, da sind die Mengen an Algenextrakten natürlich gering. Aber wir sehen sicher das Potenzial für großtechnische Anlagen, wo auch 10.000 Liter kultiviert und den Stressfaktoren ausgesetzt werden können. An der TU München etwa entstand in den letzten Jahren eine solche Anlage. Die Produktion von großen Mengen ist der Knackpunkt dieser Technologie. Aber es ist eine unglaubliche Chance, wertvolle Stoffe zu gewinnen, ohne die Umwelt dabei zu schädigen.
Gstir: Wir haben unsere Hypothese, dass Algen wertvolle sekundäre Pflanzenstoffe produzieren, bestätigen können. Dann stellte sich die Frage, wie wirken diese Stoffe genau? Auch das haben wir beantworten können. Nun müssen wir die Substanzen genau beschreiben und typisieren – erst dann können sie auch für medizinische Zwecke in Frage kommen.
stammt aus dem Pitztal und hat in Innsbruck Biomedizinische Analytik und Molekularbiologie studiert. Seinen PHD erlangte er in Heidelberg, wo er am Europäischen Molekularbiologielabor (EMBL) forschte. Zurück in Innsbruck beschäftigte er sich als Post-Doc mit RNA-Biologie. Seit 2016 ist Gstir Leiter des Labors für Zellbiologie am ADSI in Innsbruck.
© Text: Josef Puschitz, Foto: Andreas Heddergott; privat