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Dem Immunsystem auf die Sprünge helfen

Dr. Sina Oppermann sprach beim Pharmazieforum 2024 über die Wirkungsweise von CAR-T-Zelltherapien. Im Interview gibt sie Einblicke in aktuelle Entwicklungen und potenzielle weitere Anwendungsgebiete.

Text: Greta Lun

Frau Dr. Oppermann, was erforschen Sie in Ihrer Arbeitsgruppe? 

OPPERMANN: Wir testen eine Vielzahl von Wirkstoffen im Labor an Tumorproben von Patientinnen und Patienten, die wir nach Operationen von der Klinik erhalten, um jeweils die bestmögliche Therapie zu finden und natürlich auch Daten für Kohortenanalysen für neue klinische Studien zu erheben. 

Sie haben sich als Apothekerin für den Weg in die Krebsforschung entschieden. Warum? 

OPPERMANN: Ich habe mich nie bewusst für die Krebsforschung entschieden, sondern bin meinem Herzen und dem Wunsch gefolgt, etwas zur Therapieverbesserung beitragen zu können. Am Deutschen Krebsforschungszentrum bin ich als Apothekerin ein bisschen eine Exotin. Dabei liegen Krebsforschung und Pharmazie ganz nahe beieinander, vor allem in der klinischen Forschung. Für die Experimente müssen pharmakologische Eigenschaften der Medikamente berücksichtigt werden. Auch in späteren Studienprotokollen gibt es einen pharmakologischen Abschnitt, Dosierung und Interaktionen von Medikamenten müssen geklärt werden. Ich kann andere nur ermutigen, bei Interesse diesen Weg zu gehen. Besonders spannend ist für mich die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team.

„Es gibt spannende Ansätze, T-Zellen von gesunden Menschen zu gewinnen, um die Herstellung zu vereinfachen und Kosten zu reduzieren.“ Bild: Avoxa Alois Müller

Sprechen wir über die CAR-T-Zelltherapie, die sich das Immunsystem zunutze macht. Seit wann wird sie erforscht? 

OPPERMANN: Prinzip und Potenzial von CAR-T-Zelltherapien sind schon über zwei Jahrzehnte bekannt. Die Idee ist naheliegend, denn unser Immunsystem ist ja normalerweise in der Lage, kranke von gesunden Zellen zu unterscheiden und die erkrankten zu beseitigen. Bei Krebszellen besteht oft das Problem, dass diese für das Immunsystem unsichtbar bleiben. Mit der CAR-T-Zelltherapie helfen wir dem eigenen Immunsystem auf die Sprünge, indem wir der T-Zelle einen künstlichen Rezeptor geben. So kann sie die Krebszellen erkennen, binden und abtöten. Die erste Publikation über das Prinzip der künstlichen Antigen-Rezeptoren für T-Zellen erschien 1989. Bis zur Entwicklung einer funktionierenden Therapie hat es einige Zeit gedauert. Über 200 Studien, hauptsächlich in den USA, wurden durchgeführt, bis die ersten Zulassungen erfolgten – in der EU war das 2018. 

Bei welchen Krebsarten werden CAR-T-Behandlungen eingesetzt und wie erfolgreich sind sie?  

OPPERMANN: Wir haben momentan sechs zugelassene CAR-T-Zelltherapien in der EU: Vier richten sich gegen CD19-B-Zellen und werden somit angewandt bei den B-Zell-Leukämien und bestimmten B-Zell-Lymphomen, zwei neuere Präparate machen sich das B-Zellreifungsantigen (BCMA) zunutze, ein Oberflächenantigen beim Multiplen Myelom. Die Erfolgsraten sind beispiellos. Teilweise liegt das generelle Ansprechen bei über 80 Prozent und die komplette Remission bei fast allen Therapien immerhin bei über 50 Prozent. Über die Hälfte der Behandelten kann von krebsfrei reden, zumindest 12 bis 24 Monate nach der ersten Infusion. Das sind Zahlen, die deutlich besser sind als bei anderen Krebstherapien. 

Welche Risiken sind mit CAR-T-Therapien verbunden? 

OPPERMANN: Die zwei häufigsten und bekanntesten Komplikationen sind durch den Wirkmechanismus der CAR-T-Zelle bedingt und kommen durch eine überschießende Immunreaktion zustande: Beim Zytokin-Freisetzungs-Syndrom setzen CAR-T-Zellen Zytokine frei, mit denen weitere Immunzellen angelockt werden. Diese setzen wiederum weitere Zytokine, unter anderem Interleukin-6 frei – eine der schlimmsten Komplikationen, weil IL-6 in jeder Körperzelle zu Schädigungen führen kann. Mögliche Folgen sind ein enormer Blutdruckabfall, Herz-Kreislauf-Störungen, Hypertonie bis hin zum Organversagen. Dieses Risiko haben wir jedoch gut im Griff: Ein Antikörper gegen IL-6, Tocilizumab, muss in entsprechenden Dosierungen ganz nah bei der Station zur Verfügung stehen. 

Und die zweite Komplikation?

OPPERMANN: Bei Therapien gegen CD19 haben wir es mit einer Lymphodepletion zu tun: Wer auf die Behandlung anspricht, hat kurz danach keine B-Zellen mehr. Das liegt daran, dass nicht nur die bösen B-Lymphozyten CD19 exprimieren, sondern auch die gesunden B-Zellen, die für die Produktion von Immun-Globulin zuständig sind. Man misst die Immun-Globulin-Spiegel und muss diese unter Umständen substituieren.

Gibt es Unterschiede bei der CAR-T-Zelltherapie von Kindern und Erwachsenen? 

OPPERMANN: Vom Wirkprinzip her nicht. Allerdings haben wir nur eine einzige zugelassene CAR-T-Zelltherapie für Kinder, und zwar Tisagenlecleucel (Kymriah®) für akute lymphatische Leukämie. Das liegt auch daran, dass für Kinder noch strengere Voraussetzungen gelten und Medikamente zunächst an Erwachsenen getestet werden müssen.

Welche Entwicklungen gibt es, um CAR-T-Zellen in Zukunft auch in anderen Indikationen anzuwenden?

OPPERMANN: Aktuell untersuchen viele Studien die Anwendung bei soliden Tumoren. Da haben wir die Herausforderung, dass die CAR-T-Zellen den Ort des Tumors erreichen müssen und das immunsuppressive Tumor-Mikromilieu das Überleben der CAR-T-Zellen deutlich erschwert. Fortgeschritten ist die Forschung bei HER2-positiven Mammakarzinomen sowie bei Leberzell-Karzinomen, erste Studien bei Gehirntumoren, dem Glioblastom, sind vielversprechend. Auch bei anderen Krankheiten könnten CAR-T-Zellen in Zukunft eine Rolle spielen, etwa bei Autoimmunerkrankungen und HIV.

Woran wird noch geforscht?

OPPERMANN: Es gibt spannende Ansätze, T-Zellen von gesunden Menschen zu gewinnen, um die Herstellung zu vereinfachen und Kosten zu reduzieren. Und es werden viele Studien zu Kombinationstherapien aus CAR-T-Zelltherapien und Checkpoint- oder Kinase-Inhibitoren durchgeführt. Es bleibt spannend, welche Entwicklungen daraus hervorgehen werden.

In der CAR-T-Zelltherapie werden den Patient*innen in zertifizierten Zentren T-Zellen entnommen, im Labor „scharf gemacht“ und ihnen danach wieder als Infusion verabreicht. Bild: shutterstock.com/Design_cells 

Zur Person:

Dr. Sina Oppermann ist ausgebildete Apothekerin und Krebsforscherin. Nach ihrem Pharmaziestudium an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt promovierte sie an der Philipps-Universität in Marburg im Fach Klinische Pharmazie und Pharmakologie. Im Anschluss absolvierte sie einen zweijährigen Postdoc-Aufenthalt am Sunnybrook Research Institute in Toronto, Kanada, das akademische und klinische onkologische Forschung verbindet. 2016 begann sie zunächst als Postdoc am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, wo sie seit 2018 Gruppenleiterin für translationale Pharmakologie ist. Ihre Schwerpunkte sind solide Tumore bei Kindern sowie personalisierte Therapien. Sie unterrichtet Studierende der Pharmazie an der Universität Frankfurt im Fach Pharmakologie und Klinische Pharmazie und ist im Begriff, dort im Fachbereich der Pharmazie zu habilitieren.