Zum einen die Überalterung – und damit chronische Erkrankungen. Und die Datengrundlage wird unglaublich ausgeweitet, nicht zuletzt durch Selbstvermessung, also die Speicherung und Auswertung von Vitaldaten. Ich erwarte und erhoffe mir aber auch eine übergeordnete Zusammenführung von digitalen Patientendossiers. Die Medizin hat heute noch ein großes Datenproblem, das im Interesse des medizinischen Fortschritts behoben werden muss. Gleichzeitig machen die Sequenzierung des Genoms und das genetische Editieren enorme Fortschritte. Wenn wir Hunderttausende Genome mit den Krankheitsgeschichten der Menschen kombinieren, werden wir viele verbesserte Therapien hervorbringen.
Der unabhängige Zukunftsforscher Georges T. Roos beschäftigt sich mit Megatrends des gesellschaftlichen Wandels. Für die Herba hat er bereits beim Zukunftsforum 2017 gesprochenHeute googeln viele, wenn sie ein Symptom spüren, danach – und aus einem Husten wird Lungenkrebs. Man hat das Schlimmste vor Augen. Das wird mit künstlicher Intelligenz, die neben wissenschaftlichen Daten auch die eigenen Vitaldaten interpretiert, deutlich besser. Es ist heute schon so, dass KI Röntgenbilder besser lesen kann als der Durchschnittsarzt. Die neueste Apple Watch kann das EKG erfassen und soll in den USA bald als Medizinalgerät zugelassen werden. Auch die Medikamentensicherheit erhöht sich, denn meine intelligente App weiß, worauf ich allergisch bin, und vielleicht sogar, was ich eingenommen habe. Wenn die Apotheker all diese Daten auslesen können, haben sie viel mehr Gewähr, dass sie das richtige Medikament verschreiben.
Wir haben enorme Kostensteigerungen im Gesundheitswesen und zum Teil überfüllte Wartezimmer und Ambulatorien. All das ruft nach einer weit distribuierten, niederschwelligen Anlaufstelle, wie sie die Apothekenwelt darstellt. Es wäre wünschenswert und durch die technischen Fortschritte auch möglich.
Es ist durchaus denkbar, dass die Apotheke der Zukunft diverse durch intelligente Software unterstützte Tests verkauft und darüber berät. Sie wird geübt darin sein, Diagnosen und Ergebnisse zu verstehen. Vielfach kann sie so eine ausreichende medizinische Versorgung leisten, auch weil viele Vorschritte schon getan sind. Auch die Patienten sind besser informiert und diagnostiziert. Gleichzeitig brauchen die „Non-Digitals“ ihre Beratungsstelle. Darin sehe ich wichtige Zukunftsrollen für Apotheker.
Die Konkurrenz kommt vielleicht aus Ecken, aus denen man sie gar nicht erwartet – von neuen, sehr mächtigen Mitbewerbern. Denn wer hat all die Daten? Nicht die Krankenkasse oder der Arzt, zumindest nicht die aus der Selbstvermessung. Die haben Google, Apple oder eine andere Firma. Man darf auch nicht darauf bauen, dass alle Regelungen so bleiben. In den meisten Ländern wachsen die Gesundheitskosten stärker als das BIP – es gibt damit einen großen politischen Druck, nach preisgünstigeren Möglichkeiten zu suchen. Sich gegen die Digitalisierung zu sträuben ist gefährlich. Welche Chancen entstehen, wie können wir diese Nischen besetzen? Das wäre die richtige Haltung.
Davon bin ich überzeugt. Gesundheit ist nicht nur eine Frage der richtigen Diagnose, sondern auch des Vertrauens und des Zuhörens – die psychologische Situation erfassend. Das wird für Pharmazeuten weiterhin eine wichtige Aufgabe sein.
© Text: Greta Lun; Fotos: Claudia Link; Philipp Tomsich