Er fing an zu zittern. Sein Herz raste. Schweiß tropfte ihm aus allen Poren. Markus L.* war klar, jetzt ist es wieder so weit. Er klapperte die Umschlagplätze Wiens ab – für den einen Schuss. Er war 17 Jahre alt, als er sich zum ersten Mal Heroin spritzte. Heute, mit 30, holt sich der gelernte Grafiker seine Dosis legal in der Apotheke. Auf Kosten der Krankenkasse bekommt er „Substitol“, ein Drogenersatzmedikament, das sein Leben in ruhigere, legale Bahnen lenkt.
Drogen abgeben und dokumentieren
2018 befanden sich in Österreich 18.630 Personen in einer Opioid-Substitutionstherapie. Obwohl Substitution zum Portfolio einer jeden Apotheke gehört, meiden viele Pharmazeuten die Betreuung Betäubungsmittelabhängiger – vor allem im ländlichen Raum. Sie empfinden es als schwierig, die Versorgung in den Apothekenalltag zu integrieren. Suchtgifte werden pro Stück abgerechnet, was zudem einen enormen Dokumentationsaufwand bedeutet.
„Alles nur eine Frage der richtigen Organisation“, meint Dr. Dominik Kaiser, Inhaber der Ludwigs-Apotheke in Wien Simmering.
Er hat für jeden Patienten ein eigenes Kisterl mit den persönlichen Daten, was den verwaltungstechnischen Aufwand erleichtert. Der Pharmazeut hat die Apotheke vor zehn Jahren von seinem Vater übernommen und jahrelange Erfahrung, was die Betreuung von Substitutionspatienten angeht. „Drogensüchtige sind schwer kranke Menschen, die genauso Anspruch auf professionelle Versorgung haben wie andere Patienten.“
Ein passendes Umfeld
Mittlerweile betreut Dominik Kaiser mit seinem Team rund 200 Suchtkranke aus Wien und Niederösterreich. Damit der tägliche Betrieb nicht gestört wird, erhalten die Patienten ihre tägliche Dosis in einem eigens dafür vorgesehenen Bereich. Das familiäre Umfeld, wie er sagt, gibt den Suchtkranken soziale Stabilität – ein wesentlicher Faktor in ihrer Situation. „Vielen Suchtkranken fehlt es an Durchhaltevermögen“, so Kaiser. „Der tägliche Besuch in der Apotheke bedeutet für sie eine enorme Anstrengung, sorgt aber gleichzeitig für einen geregelten Tagesablauf.“
„In erster Linie ist die Substitutionstherapie darauf ausgelegt, Suchtkranke zu stabilisieren“, sagt auch Mag. pharm. Hans Mair. Der Besitzer der Apotheke am Wiener Naschmarkt betreut aktuell neun Substitutionspatienten aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen. Die Ersatzmedikamente auf Krankenschein heilen zwar nicht von der Sucht, erleichtern aber das Leben der Betroffenen. Das Programm ermöglicht ihnen die Resozialisierung und damit ihre Rückkehr ins Arbeits- und Familienleben.
„Einfach ist die Aufgabe nicht“, gesteht der Apotheker. Sie erfordere bei jedem Patienten das Durchsetzen knallharter Regeln. Mair zeige keinen Millimeter Toleranz. Das heißt für Substitutionspatienten: Kein gültiges Rezept, keine Ware.
Opiatabhängige dürfen Substitutionsmittel nur im Beisein der Apotheker einnehmen, die kontrollieren, ob die Tablette tatsächlich geschluckt und nicht im Mund hinausgeschmuggelt wird, um sie als „G’spuckte“ zu verschachern. „Wenn jemand nur vortäuscht, die Dosis geschluckt zu haben, braucht er im nächsten Monat nicht mehr wiederzukommen“, so Mair.
Die Betäubungsmittelsubstitution ist für Patienten meist ein Modell auf Lebenszeit. „Manche Suchtkranke kommen schon seit zwanzig Jahren zu mir“, sagt Mair. Tatsächlich erfahre er Dosisreduktionen in der täglichen Praxis kaum. Patienten, die von der Substitution loskommen, rutschen oft in eine andere Sucht ab. „Ich habe Patienten behandelt, die zwar vom Morphin runtergekommen sind, aber dann alkoholsüchtig wurden.“
*Name von der Redaktion geändert
© Fotos: Reinhard Lang, Text: Patricia Steurer